Meinen ersten „seriösen“ Dolmetschauftrag werde ich nie vergessen. Mit 18 half ich russischstämmigen Senioren bei Ärzten und Behörden; mit 19 durfte ich auf Messeständen zwanzigmal pro Stunde das gleiche Gespräch verdolmetschen – in etwa: „hallo, hier ist meine Visitenkarte“ / „hier ist meine“. Mit 20 wurde ich dann zu ersten Mal zu einer Verhandlung geladen. Es wurde sehr technisch. Drei Tage lang bereitete ich mich vor, bis ich nicht nur alle Fachbegriffe auswendig gelernt hatte, sondern auch die lustigsten davon mit einem ernsten Gesicht aussprechen konnte.
„Doghouse erection“, zum Beispiel.
Was weder mit Hunden noch mit Sex zu tun hat, sondern sich mit einem schönen deutschen Bandwurmwort als „Bohrmeisterbüroerrichtung“ übersetzen ließe.
Und „smart pig“ ist nicht etwa ein schlaues Schwein, sondern ein „Molch“. Aber kein Lurch. „Molche“ sind Geräte zum Reinigen von Rohrleitungen; wenn sie smart sind, machen sie’s automatisch.
Ich habe so fleißig gelernt, dass ich nachts von Schweinen träumte, die sich in Molche verwandeln (zum Glück nicht von erregten Hunden; es sei denn, ich habe diesen Traum verdrängt).
Und siehe da, es ging alles gut! Ich hatte alle Vokabeln drauf; die Kunden waren zufrieden; ein Vertrag wurde unterschrieben, und ich wurde eingeladen, beim Abendessen weiter zu dolmetschen. „Endlich kann ich die Fachbegriffe vergessen und mich beim Smalltalk entspannen!“, dachte ich.
Und dann kam das Menü.
Und das sah ungefähr so aus:
„Süppchen von der Chayote mit Graukäseperlen
Eingelegte Kliesche mit Wakamé, Zupfsalaten und Pignolen
Sorbet-Dreierlei mit Kardamom-Espuma“
Eine englische Version gab es nicht. Normalerweise machen mir alle sprachlichen Eigenarten viel Spaß – aber diesmal hatte ich keine Zeit, darüber zu schmunzeln, dass eine Suppe in einem Edelrestaurant immer zu einem Süppchen verniedlicht werden muss.
Was zum Teufel ist eine Chayote?
Die Kliesche ist ein Fisch, okay, aber wie heißt er auf Englisch?
Irgendwie kämpfte ich mich durch, aber meine Sicherheit war verflogen. Dafür habe ich gelernt, dass man beim Dolmetschen nie weiß, wo die Gefahr lauert: Schließlich hatte ich souverän über den Molch gedolmetscht, nur um an einem Fisch zu scheitern!