Ein Übersetzungspreis für meine Übersetzung ins Englische!

Ich habe gerade einen Übersetzerpreis für Viktor Shklovsky: A Reader bekommen – und das Schönste daran ist, diesen Auftrag hatte ich mir selbst gebastelt.

Ich bin nicht hauptsächlich Literaturübersetzerin: Meine Erfahrung bis dahin beschränkte sich auf eine Biografie ins Deutsche und ein Sachbuch ins Englische; ansonst übersetze ich v.a. Werbetexte und Geisteswissenschaftliches. Aber es überkommt mich immer wieder der Wunsch, ein bestimmtes Buch zu übersetzen. Und dann schreibe ich eben ganz naiv Verlage an, und daraus wird meistens nichts. Ich habe bestimmt ein Dutzend Probeübersetzungen umsonst angefertigt (den Spaßfaktor nicht miteingerechnet). Aber dann hat mir ein Verlag eben doch geglaubt, dass dieses Buch übersetzt werden muss, und dass ich es übersetzen sollte. Und siehe da: eine Auszeichnung für meine Übersetzung! Es ist zwar nicht die erste; auch meine Lyrikübersetzungen haben schon Preise bekommen, aber Gedichte zu übersetzen ist leider nicht mein täglich Brot; die Buchübersetzung, hingegen, bedeutete ein Jahr Arbeit: Recherche, die eigentliche Übersetzung, dann das Lektorat…

Der Verlag bat mich, über die Übersetzung einen Post für den Bloomsbury Blog zu schreiben; ich übersetze ihn mal etwas abgeändert ins Deutsche – das Original findet man unter http://bloomsburyliterarystudiesblog.com/continuum-literary-studie/2018/01/happy-birthday-viktor-shklovsky.html.

Also:

Zuerst sollte ich wohl erklären, warum ich als russische oder eine russisch-deutsche Muttersprachlerin (ob „russisch“ oder „russisch-deutsch“, ist eine Frage für sich) ins Englische übersetze. Denn eigentlich – so wird es zumindest oft gesagt – sollte man aus einer Fremdsprache in die Muttersprache übersetzen, nie aus der Muttersprache in die Fremdsprache. Da ist auch etwas dran, aber die Wirklichkeit ist komplizierter: Manchmal ist man in bestimmten Bereichen in einer anderen Sprache souveräner unterwegs als der, mit der man aufgewachsen ist. Nach meinem Studium in London und meiner Promotion in amerikanischer Literatur kann ich geisteswissenschaftliche und literarische Texte wohl tatsächlich genauso gut ins Englische übersetzen wie ins Deutsche oder Russische, in bestimmten Spezialgebieten wie Kulturwissenschaft, Kunstwissenschaft, Psychologie und Soziologie wohl noch besser, weil ich hier die englischen Fachbegriffe am besten kenne. Kunst und Kultur sind grundsätzlich meine Fachgebiete, und es hat sich so ergeben, dass ich Texte wie Kunstkataloge meist ins Englische übersetze. Dazu kommt, dass ein Nicht-Ganz-Muttersprachler manchmal besser eine frische Formulierung finden kann. Ein Lektorat nach dem 4-Augen-Prinzip ist immer wünschenswert, und ich lasse meine Übersetzungen für den letzten Schliff gerne von britischen oder amerikanischen Muttersprachlern Korrektur lesen, aber im Grunde geht es. Nun bekommt als Übersetzerin meist Aufträge von Kunden, und geht nicht selbst mit Texten auf Menschen zu. Die besten Essays von Wiktor Schklowski wollte ich aber unbedingt übersetzen: Die meisten dieser Schriften gab es nämlich noch nicht auf Englisch, oder die Übersetzungen waren nicht fehlerfrei. Und dann ist mir auch ein Titel eingefallen: Viktor Shklovsky: A Reader (im Sinne von „Leser“ und „Textsammlung“), und Wortspiele waren schon immer meine große Liebe.

Die von Schklowski übrigens auch. Nachdem ich den Bloomsbury-Verlag mit einer Probeübersetzung überzeugte, die Übersetzung zu veröffentlichen, machte ich mich richtig an die Arbeit: 200 000 Wörter, darunter jede Menge Wortspiele, Reime und komplizierte Anspielungen. So schreibt er zum Beispiel auf Russisch, dass bei Dostojewski alle Protagonisten alles „plötzlich“, unerwartet, machen. Das russische Wort dafür ist „wdrug“. Und dann schreibt er einige Seiten später, dass sie auch alle zusammenwirken – und erklärt, dass „wdrug“ früher auch „zusammen“ bedeutete. Ich hatte hier Riesenglück mit der Übersetzung: Auf Englisch ließen sich mit „all at once“ beide Bedeutungen wiedergeben. Auf Deutsch funktioniert die Übersetzung mit „auf einmal“ genauso. Auch die Gedichte zu übersetzen, die der Autor immer wieder in den Text einstreut, waren eine reine Freude.

Das Schwierigste beim Übersetzen war zu meiner großen Überraschung nicht die korrekte Terminologie, nicht einmal der Stil und die Reime – sondern Zurückhaltung.

Der Autor benutzt auf Russisch oft seltsame Ausdrücke, er wiederholt sich viel, manchmal macht er auch einen Fehler – ich war sehr versuch, seine Sprache etwas zu glätten, mehr Abwechslung hineinzubringen und Fehler zu korrigieren. Das mache ich auch gerne bei Texten von Kunden, die so eine Übersetzung mit integrierter Textverbesserung. Aber diesmal wollte ich, dass Leser den Autor in der englischen Fassung genauso kennenlernen wie ich ihn meinerzeit im Original – auf Russisch – kennenlernte.

 

Alexandra Berlina

Kommentare sind geschlossen.